Fragwürdige Ethikkommissionen
Vorgaben des Arzneimittelgesetzes sind un(ein)haltbar

Berlin ist das erste Bundesland, das für Entscheidungen der Ethikkommission der Ärztekammer vollständig haftet. An den fragwürdigen Vorgaben zur Begutachtung klinischer Studien ändert dies nichts.


Von Klaus-Peter Görlitzer
Die Ärztekammer Berlin will ihre Ethikkommission erweitern und sucht dafür neue qualifizierte Mitglieder. Willkommen sind MedizinerInnen, PharmakologInnen und BiometrikerInnen, die bereit sind, ehrenamtlich beantragte Arzneimittelstudien zu prüfen. Die Ausschreibung ist bemerkenswert. Denn sie dient einem Begutachtungswesen, das die Berliner Ärztekammer eigentlich gar nicht mehr verantworten will. Sie hatte deshalb beim Verwaltungsgericht gegen eine Anordnung der Gesundheitsbehörde geklagt, welche die Kammerkommission verpflichtet, beantragte Arzneistudien rechtsverbindlich zu bewerten. 

   Hintergrund ist die seit August 2004 geltende 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG), die erstmals auch legitimiert, kranke Kinder in fremdnützige Medikamenten-Tests einzubeziehen. Außerdem wurde die Rolle von Ethikkommissionen neu definiert: Sie gelten nun als "Patientenschutzinstitutionen mit Behördencharakter", ohne deren "zustimmende Bewertung" eine Studie nicht stattfinden darf.

    "Wenn die Ethikkommissionen der Ärztekammern diese Aufgaben erledigen müssten", erläutern die Berliner MedizinerInnen, "würde letztlich die Ärzteschaft in eine Zuarbeit für Pharmaunternehmen gezwungen." Obendrein fürchtet die Kammer subtilen Druck der Arzneimittelhersteller, die nun auf verweigerte Studiengenehmigungen oder Fristüberschreitungen mit millionenschweren Schadensersatzklagen reagieren könnten. Geltend machen könnten sie zum Beispiel Einnahmeverluste wegen entgangener Patente oder verspäteter Marktzulassung eines Präparats. 

   Kommissionsmitglieder können für fehlerhafte Entscheide nur belangt werden, wenn ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachweisbar ist. Ansonsten müsste die Kammer, als Trägerin der Ethikkommission, für verschuldete Schäden einstehen. Dies könne die Standesvertretung in die Pleite treiben, meint ihr Vorstand. 

   Das ist nun ausgeschlossen, vorerst jedenfalls. Anfang Januar haben sich Berliner Ärzteschaft und Landesregierung nämlich auf einen Kompromiss geeinigt. Der Vergleich, vorgeschlagen vom Verwaltungsgericht, sieht eine Übergangsregelung vor. Demnach muss die Ethikkommission mindestens bis Oktober weiter arbeiten. Bis dahin verpflichtet sich das Land Berlin, vollständig für die Entscheidungen des Ärztekammer-Gremiums zu haften und außerdem per Gesetz zu regeln, wer künftig die Kommissionsaufgaben wahrnehmen soll. Die Ärztekammer schlägt vor, Berlin solle eine eigene Behörde für Arzneistudien installieren. Eine solche "Landesethikkommission", für deren Voten Politik und SteuerzahlerInnen gerade stehen müssen, gibt es seit Jahren in Bremen. 

   Wer den Schutz von StudienteilnehmerInnen verbessern möchte, muss aber auch die Vorgaben des AMG überprüfen. Denn sie verpflichten Ethikkommissionen, unter enormem Zeitdruck zu entscheiden: Die kürzeste Frist beträgt 14 Tage; in der Regel haben die ehrenamtlichen Sachverständigen einen Monat Zeit, um einen Studienantrag mit zahlreichen Anlagen – Gesamtumfang: rund 250 Seiten – zu lesen, zu beraten und rechtsverbindlich zu bewerten. Allein die 18-köpfige Berliner Kommission hat es pro Jahr mit rund 400 Arzneimittelstudien zu tun.

   Zudem liegt, zumindest bei universitären Gremien, einiges im Argen. In einem Gutachten für die Medizinethik-Enquete heißt es: "Um den Wissenschaftsstandort der jeweiligen Universität zu wahren, sind dort angesiedelte Ethik-Kommissionen bemüht, die Anforderungen an klinische Forschungsvorhaben nicht zu hoch anzusiedeln." Sogar rechtlich unhaltbare Studien seien bewilligt worden.

   Diese strukturellen Probleme haben offenbar auch die Berliner VerwaltungsrichterInnen erkannt, in ihrer Vergleichsbegründung schreiben sie: "Zudem bedarf die Frage der Auseinandersetzung, ob es weiterhin ‚hochschulinterne‘ Ethikkommissionen geben soll oder ob dies mit Rücksicht auf die gebotene Unabhängigkeit der Ethikkommission als untunlichst erscheint." Daher habe Berlin "baldmöglichst zu klären", welche Rolle die Ethikkommission des Uniklinikums Charité künftig spielen soll. Man darf gespannt sein.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2005
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aus:
BIOSKOP 

Nr. 29 (März 2005)















"Ethikkommissionen in der medizinischen Forschung"
... lautet die Überschrift eines spannenden Gutachtens über die praktische Arbeit dieser Gremien. Autoren sind die Juristen Christian von Dewitz und Christian Pestalozza sowie der Mediziner Friedrich C. Luft. Ihre 360 Seiten starke Expertise hatte die Medizinethik-Enquete des Bundestages in Auftrag gegeben. Das Gutachten steht auf der Homepage der Enquete

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 


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