Rheinische Post   28. April 2004

Der unbekannte Wille vor dem Tod


 


Transplantationen: Meist entscheiden Angehörige über die Entnahme von Organen



Von Klaus-Peter Görlitzer
Für Organspenden engagieren sich viele: Die große Werbekoalition reicht von Behörden, Krankenkassen, Kliniken über Verbände von Ärzten und Apothekern bis zu Selbsthilfegruppen, Pharmafirmen und Prominenten. Das kostet viel Geld, vornehmlich Steuermittel: Allein die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) steckt seit 1998 jedes Jahr rund eine Million Euro in ihre Kampagne "Organspende schenkt Leben".

    Mitte März präsentierte sie mal wieder neue Plakate. Eines zeigt einen Jugendlichen, darunter seine Botschaft: "Ob ich einen Organspendeausweis habe? Na klar, geht doch schon ab 16." Per Pressemitteilung weist die BZgA zudem auf telefonische "Repräsentativerhebungen" hin, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa in ihrem Auftrag erstellt hat, Ergebnis: "Knapp 70 Prozent der Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland wären mit einer Organentnahme nach ihrem Tode einverstanden."

    Die Realität in den Transplantationszentren sieht anders aus; Organentnahmen bei Patienten, denen Ärzte den unumkehrbaren Ausfall der Hirnfunktionen ("Hirntod") bescheinigt haben, sind meist fremdbestimmte Eingriffe. Für die bundesweite Koordination der Körperteilspenden verantwortlich ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Laut ihrer Statistik entnahmen Chirurgen 2003 hierzulande 1.140 "Hirntoten" insgesamt 3.496 Nieren, Herzen, Lebern, Lungen, Bauchspeicheldrüsen und Dünndärme - also durchschnittlich drei Organe pro Person.

    Doch nur vor 5,5 Prozent der Organentnahmen hatte der Spender früher schriftlich erklärt, dass er nach Feststellung des "Hirntods" damit einverstanden sein werde. In den übrigen Fällen (94,5 Prozent) wurde zur Regel gemacht, was das seit Transplantationsgesetz (TPG) als Ausnahme zulässt: Stellvertretend für den Betroffenen stimmten Angehörige zu. 11,8 Prozent gaben an, den Willen des potenziellen Spenders zu kennen. 76,8 Prozent vermuteten, der todgeweihte Patient sei wohl zur Explantation bereit, 5,8 Prozent willigten nach eigenen Wertvorstellungen ein.

Die Politik schweigt dazu
    Die aktuellen Zahlen sind keine Ausreißer. Der Anteil der Organentnahmen ohne schriftliche Einwilligung des Betroffenen liegt seit Jahren bei 95 Prozent. Diese Tatsache, die zur allseits betonten "Selbstbestimmung" beileibe nicht passt, schweigen Politik und Transplantationslobby in ihrer Öffentlichkeitsarbeit einfach tot. In ihrer Bilanz für 2003 unterstreicht die DSO lieber "einen eindrucksvollen Zuwachs". Tatsächlich stieg die Zahl der explantierten "Hirntoten" im Vergleich zu 2002 um rund elf Prozent, von 1.029 auf 1.140. Allerdings hatte man 1997, also noch vor Inkrafttreten des TPG, schon 1.079 Organspender registriert.

    Eine neue Höchstmarke meldet die DSO auch bei den realisierten Transplantationen: 2003 wechselten in deutschen Kliniken 4.164 Organe die Körper, 476 davon stammen von gesunden "Lebendspendern". Am häufigsten verpflanzt wurden Nieren: 2.513 in 2003 (2002: 2325).

    Die Warteliste ist dennoch unverändert lang: Laut DSO hoffen derzeit rund 12.000 Patienten auf ein menschliches Ersatzteil.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2004
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