Die Rheinpfalz 22. Februar 1997

Hirnzellentransplantation – Hilfe bei Parkinson?
Gewebe aus abgetriebenen Embryonen soll in Hannover
auf Erkrankte übertragen werden – Ethische Bedenken



Von Klaus-Peter Görlitzer
Der Neurochirurg Guido Nikkhah vom Nordstadt-Kramnkenhaus in Hannover plant Experimente, die hierzulande ohne Beispiel sind: Er will Hirnzellen abgetriebener Embryonen in Gehirne von Menschen 
übertragen, die an der Schüttellähmung (Morbus Parkinson) leiden. Durch diese "Neurotransplantation", hofft Nikkhah, könnten Krankheitssymptome wie zitternde Hände, Steifheit, fehlende Mimik und Sprachstörungen gelindert werden; eine Heilung erwartet er angesichts internationaler Erfahrungen zunächst noch nicht.

    Seit 1987 ist Gewebe abgetriebener Embryonen auf mindestens 200 Parkinson-Patienten übertragen worden, vornehmlich in den USA, Schweden und Großbritannien. Eine anerkannte Operationstechnik gibt es nicht, grundsätzlich verlaufen die Eingriffe etwa so: Erst bohrt der Chirurg ein Loch in die Schädeldecke des Patienten, dann spritzt er mit Hohlnadeln Gewebe mehrerer Embryonen in sein Gehirn. Dort sollen die fremden Mittelhirnzellen anwachsen, den Botenstoff Dopamin erzeugen und so die Funktion bestimmter Nervenzellen übernehmen, die bei Parkinson-Kranken weitgehend abgestorben sind.

    Von einzelnen Patienten wird berichtet, es gehe ihnen seit der Operation besser. Im Fachblatt "Trends in Neurosciences" haben US-Wissenschaftler den aktuellen Forschungsstand zusammengefaßt. Die bisher publizierten Versuchsergebnisse, schreiben sie, seien "ermutigend". Gleichzeitig betonen die Autoren, die Neurotransplantation bleibe vorerst "eine experimentelle Strategie", weitere klinische Versuche seien erforderlich, um die Wirksamkeit des Therapiekonzepts abzuklären.

    Neben- und Langzeitwirkungen sind bislang weitgehend unbekannt. Der operative Eingriff selbst ist riskant: Er kann, wie Chirurgen der Wissenschaftszeitschrift New Scientist erläuterten, Hirnblutungen verursachen; auch der Tod des Patienten wird nicht ausgeschlossen. Gleichwohl ist es erklärtes Ziel, in einigen Jahren Hirngewebe auch zur Linderung weiterer Krankheiten zu transplantieren, beispielsweise von Alzheimer (Demenz), Epilepsie, Multiple Sklerose, Chorea Huntington (Veitstanz) oder Schizophrenie.

    Guido Nikkhah will die Neurotransplantationstechnik zunächst im Tierversuch erproben und Gewebe menschlicher Embryonen in die Hirne von Laborratten spritzen. Eigentlich könnte er damit sofort beginnen. Das Know-how sei vorhanden und auch die Ethik-Kommission der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat zugestimmt - nach fast einjähriger Beratung unter Ausschluß der Öffentlichkeit.

    Doch der Neurochirurg und sein Forscherteam haben noch "ein logistisches Problem, das wir lösen müssen": die Beschaffung des embryonalen Gewebes. Fraglich ist, ob und wie viele Frauen überhaupt bereit sein werden, ihren Embryo oder Fötus nach erfolgtem Schwangerschaftsabbruch für das Experiment zur Verfügung zu stellen. Zudem mühen sich die Forscher, Gynäkologen zu finden, die ihnen regelmäßig melden, wann sie neues Gewebe, sprich eine Abtreibung, erwarten können.

    Seit Nikkhahs Vorhaben bekannt wurde, gibt es Protest - ethisch, wissenschaftlich und juristisch begründet. "Diese Behandlungsmethode, deren Erfolgsaussichten äußerst ungewiß sind", empört sich etwa der niedersächsische Behindertenbeauftragte Karl Finke, "degradiert die verbrauchten Embryonen zum Ersatzteillager und drängt Frauen in die Rolle von Rohstofflieferantinnen für ethisch äußerst fragwürdige Forschungsprojekte." Und der renommierte Bonner Neurophysiologe Detlef B. Linke gibt zu bedenken, fremdes Hirngewebe könne die Persönlichkeit des Operierten verändern.

    Die Nachricht von den geplanten Experimenten in Hannover hat auch den Bundestag erreicht. Während einer Anhörung zum geplanten Organtransplantationsgesetz machte die Hamburger Politologin Ingrid Schneider darauf aufmerksam, daß Fötalgewebeforschung und -transplantation hierzulande "im rechtsfreien Raum agieren". Zudem sei mit einer Ausweitung von Abtreibungen zu rechnen, sobald erste Behandlungserfolge glaubhaft gemacht würden. "Die Gefahr ist offenkundig", so Schneider, "daß Frauen sich dann veranlaßt sehen könnten, eine Schwangerschaft bewußt einzugehen, allein zum Zweck der Verwertung - sei es aus vermeintlicher Nächstenliebe für Verwandte oder aus ökonomischer Not gegen Bezahlung."

    Solchen Befürchtungen - genährt durch Erfahrungen aus den USA, wo Unternehmen fötale Körperteile an Forscher verkaufen und damit Dollar-Millionen umsetzen - halten Nikkhah und Kollegen ihre Standesrichtlinien entgegen. "Das Gespräch über die Verwendung fetaler Zellen oder Gewebe", heißt es in einem 1991 von der Bundesärztekammer veröffentlichten Papier, "darf erst geführt werden, wenn der Entschluß zum Schwangerschaftsabbruch endgültig ist." Zudem dürften einer Schwangeren, deren Fötus abgetrieben und für Forschungs- und oder Therapiezwecke verwendet werden solle, "Vergünstigungen weder angeboten noch gewährt werden". Inwieweit Ärzte sich in der Praxis an diese Vorgaben halten, darüber können verläßlich nur die betroffenen Frauen Auskunft geben.

    Druck üben schon die Umstände aus, die Neurotransplantation setzt planmäßiges Vorgehen voraus. Für einen Eingriff, sagen Mediziner, benötigen sie bis zu acht Embryonen, und die verwendeten Zellen müssen "frisch" sein. Das bedeutet, daß ein "Empfänger" auf bis zu acht "Lieferantinnen" angewiesen ist, die räumlich und zeitlich verfügbar sein müssen. Der Verwendungszweck erfordert, daß die Transplanteure wählerisch sein müssen: Sie brauchen Embryonen aus der sechsten bis neunten Schwangerschaftswoche. Zur Qualitätssicherung müssen sich spendewillige Frauen Blut abnehmen lassen, etwa für Tests etwa auf Aids und Hepatitis-Viren.

    Während Nikkhah längst in den Startlöchern steht, hat Bonn offensichtlich keine Eile, das Ob und Wie der Fötalgewebenutzung zu regeln. Der von CDU/CSU, SPD und FDP vorgelegte Gesetzentwurf zur Organtransplantation, der 1997 beschlossen werden soll, gilt ausdrücklich nicht für embryonale und fötale Organe.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 1997
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