Keine Heilung für alle
Leitartikel


Von Klaus-Peter Görlitzer
Organtransplantationen sind hierzulande in über vierzig Spezialkliniken Routine. Doch mit dem Verpflanzen menschlicher Körperstücke sind Probleme verknüpft, die diese Technik grundlegend von anderen Behandlungsformen unterscheiden. Das Ersatzteil, das ein potenzieller Organempfänger benötigt, ist nicht beliebig beschaffbar. Der Patient ist darauf angewiesen, dass er ein lebendes Körperteil eines anderen Menschen erhält, den Mediziner für tot erklärt haben, weil seine Hirnfunktionen vollständig und unwiderruflich ausgefallen sind.

    Ob der "Hirntod" wirklich mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen ist – diese Frage ist auch heute, mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes, unter Experten wie Bürgern umstritten. Daran hat auch das Gesetz nichts geändert, das den "Hirntod" legitimiert hat und dazu beitragen sollte, die Zahl verfügbarer Organe zu steigern. Fakt ist: Die Zahl der jährlichen Verpflanzungen stagniert bei unter 4.000.

    Konstant hoch bleibt dagegen die Zahl derer, die auf ein fremdes Organ hoffen: Rund 13.000 Menschen stehen auf der Warteliste. Die dramatische Kluft zwischen der Nachfrage nach Organen und dem Angebot von "Hirntoten" markiert ein weiteres Dilemma der Transplantationstechnik: Die Mehrzahl der Patienten, bei denen Ärzte die Übertragung eines Organes für medizinisch notwendig erachten, wird angesichts des chronischen Mangels vergeblich darauf warten.

    Diese eklatante, chronische Knappheit einer Therapie-Möglichkeit ist einmalig im deutschen Gesundheitswesen, das gleichen und gerechten Zugang zu allen Gesundheitsleistungen proklamiert. Der Mangel wird zwar verwaltet, nun auch mit Hilfe neuer Verteilungsrichtlinien der Bundesärztekammer. Von Gerechtigkeit kann aber ernsthaft nicht die Rede sein, solange ein Großteil der Patienten, denen ein fremdes Körperstück medizinisch helfen könnte, es niemals bekommt.

    Auswege sollen nach Verheißungen von Forschern in zehnJahren oder später zwei weitere Technik-Optionen ermöglichen: die "Xenotransplantation" genannte Übertragung von Körperteilen gentechnisch manipulierter Tiere auf Menschen und, Vision Nummer zwei, die Züchtung von Organen aus menschlichen embryonalen Stammzellen.

    Wie ethisch umstritten hierzulande die Nutzung von Embryonen-Gewebe ist, hat zuletzt der Protest gegen das Europäische Patent 0695351 auf gentechnisch manipulierte Embryozellen gezeigt, die therapeutischen Zwecken dienen sollen. Um die Züchtungstechnik zu entwickeln, muss an Embryonen geforscht werden. Dies ist in Deutschland bisher nicht erwünscht, wie das Embryonenschutzgesetz und die Debatte um die Bioethik-Konvention des Europarates belegen.

    Ethische Bedenken gibt es auch gegen die "Xenotransplantation", weil sie Tiere zu Ersatzteillagern für kranke Menschen macht. Zudem warnen Technikfolgen-Forscher davor, dass diese neue Option ein neues, unbeherrschbares Risiko überhaupt erst heraufbeschwören könnte: Mit dem Tierorgan könnten bislang unbekannte Krankheitserreger auf den Menschen übertragen werden, schlimmstensfalls drohen Epidemien.

    Angesichts solcher Risiken und ethisch begründeter Einwände gegen die Alternativen ist die verheißene Heilung für alle nicht in Sicht. Das Dilemma, dass Schwerkranke auf den "Hirntod" von Mitmenschen hoffen müssen, wird bestehen bleiben, solange Menschen das Verpflanzen von Organen für ein therapeutisches Mittel der Wahl halten.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2000
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aus:
Südwest Presse 

11. März 2000









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