Beschluss mit ungewissen Folgen
BGH weiß nicht, wo die strafrechtlichen Grenzen von "Sterbehilfe" liegen, findet Ernährungsstopp aber legitim

Die Euthanasie-Lobby freut sich über einen neuen Beschluss des Bundesgerichtshofs. Der XII. Zivilsenat hält "künstliche Ernährung" für eine Behandlung, deren tödlichen Abbruch ein Wachkoma-Patient verlangen könne. Gleichzeitig stellen die RichterInnen aber fest, dass die strafrechtlichen Grenzen von Sterbehilfe ungewiss seien. Vor diesem Hintergrund lässt der BGH offen, ob Pflegekräfte wirklich dazu verurteilt werden können, einen Menschen verhungern zu lassen. 


Von Klaus-Peter Görlitzer
Der Münchner Rechtsanwalt Wolfgang Putz unterrichtet die Allgemeinheit gern über seine Aktivitäten. Am 18. Juli 2005 schrieb er mal wieder eine Pressemitteilung. Gemeinsam mit seiner Kollegin Beate Steldinger habe er beim BGH "eine Entscheidung herbeigeführt, die erhebliche Auswirkungen auf die Umsetzung von Patientenverfügungen in Pflegeheimen hat", verlautbarte Putz. Nun würden Pflegekräfte "durch Patientenverfügungen bindend verpflichtet, Zwangsernährungen zu beenden und das vom Patienten vorausbestimmte Sterben zuzulassen".

    Die Wirklichkeit ist komplizierter. Als der BGH am 8. Juni 2005 seinen Beschluss (Az.: XII ZR 177/03) fasste, war der Wachkomapatient Peter K., um dessen Willen es bei dem jahrelangen Rechtsstreit angeblich ging, schon über 14 Monate tot. So war längst geschehen, was der Vater von Peter K. und dessen Anwalt Putz erreichen wollten – per Klage gegen das Pflegeheim "Alpenpark" aus dem oberbayerischen Kiefersfelden. Heimleitung und PflegerInnen hatten sich geweigert, den vom Vater verlangten und vom Arzt im Dezember 2001 angeordneten Abbruch der Sondenernährung auszuführen.

    Weil Peter K. bereits gestorben war, hatte der BGH nur noch zu entscheiden, wer die kostspielige juristische Auseinandersetzung bezahlen muss. Der Beschluss vom 8. Juni 2005 lautet: "Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben." Der Ausgang des Verfahrens, so die Begründung, sei "letztlich ungewiss", weil die "strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn ('Hilfe zum Sterben') bislang nicht hinreichend geklärt erscheinen". Niemand könne zivilrechtlich zu einem Verhalten verurteilt werden, bei dem er Gefahr laufe, gegen Strafgesetze zu verstoßen, heißt es weiter.

    Das gezielte Verhungernlassen bewusstloser PatientInnen, begründet mit dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen, kann man durchaus als strafrechtlich verbotene "Tötung auf Verlangen" werten. Dieser Auffassung entgegenzutreten bemüht sich der XII. Zivilsenat wortreich. Er geht einfach davon aus, dass der tödliche Stopp der Ernährung grundsätzlich nichts anderes sei als der Abbruch irgendeiner medizinischen Behandlung.

    Gestützt auf diese Vorannahme schlussfolgert der BGH, dass rechtswidrig handele, wer einen Kranken gegen seinen "wirklichen oder mutmaßlichen Willen" ernähre. In einem solchen Fall, meinen die RichterInnen, könnten weder die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals noch der Heimvertrag es rechtfertigen, die künstliche Ernährung fortzusetzen. Seien sich Arzt und Betreuer einig, seien die Pflegekräfte auch nicht berechtigt, eine vom Betreuer verlangte Lebensbeendigung gerichtlich prüfen zu lassen.

    Der Vater von Peter K. will weiter prozessieren und beim Landgericht Traunstein Schadensersatzsprüche gegen das Kiefersfeldener Heim durchsetzen. Er verlangt Schmerzensgeld und Erstattung finanzieller Aufwendungen für die Pflege. Möglich, dass auch dieser Rechtsstreit beim BGH landen wird.

    Auf den Beschluss reagierte der CDU-Politiker Hubert Hüppe mit der Feststellung, das Ernähren via Magensonde sei Basisversorgung, die man Kranken nicht entziehen dürfe. "Notfalls", so Hüppe, "müssen wir das gesetzlich regeln." Fraglich ist aber, woher die Mehrheiten im Bundestag für eine solche Klarstellung kommen sollen. Die Gesetzentwürfe und Vorschläge, die Bundesjustizministerium, Abgeordnete und Medizinethik-Enquete zwecks Anerkennung von "Patientenverfügungen" bisher vorgelegt haben, sprechen jedenfalls eine andere Sprache: Allesamt legitimieren sie den Behandlungsabbruch bei Einwilligungsunfähigen, sofern sie mit dem Herbeiführen ihres Todes einverstanden seien. Dass der Bundestag den höchsten RichterInnen folgt und den tödlichen Ernährungs- wie Behandlungsstopp in der kommenden Legislatur gesetzlich absichern wird, wird wohl nur außerparlamentarischer Druck verhindern können.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2005
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aus:

BIOSKOP 

Nr. 31 (September 2005)










 













Brisanter Vorstoß von zwanzig Professoren

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) plant ein Gesetz, das Patientenverfügungen gesetzlich anerkennt. Kranke könnten dann rechtsverbindlich den Abbruch einer lebenserhaltenden Therapie verlangen. Dies finden zwanzig mehr oder minder prominente Strafrechtslehrer richtig – und sie gehen noch weiter: Sie plädieren dafür, dass Ärzte künftig Patienten bei der Selbsttötung helfen sollen. [MEHR]
 

 
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