Sterbehilfe Todespillen auf Rezept

Strafrechtler wollen Sterbehilfe legalisieren. Ärzte sollen die Behandlung auch bei Patienten einstellen dürfen, die überhaupt nicht im Sterben liegen.


Von Klaus-Peter Görlitzer
Zwanzig Strafrechtsprofessoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben einen "Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung" (AE-StB) vorgelegt. Der Titel ist geeignet, falsche Erwartungen zu wecken: Die vorgeschlagenen Regeln handeln jedenfalls nicht davon, Menschen am Lebensende beizustehen, wie dies etwa in Hospizen geschieht. Zweck des Gesetzentwurfs ist es vielmehr, tödliche Behandlungsabbrüche, ausgeführt auf Verlangen von Patienten, straffrei zu stellen – unabhängig vom Stadium der Erkrankung, also auch bei Menschen, die überhaupt nicht im Sterben liegen.

    Dies soll auch gelten, wenn Patienten ihren Willen persönlich nicht äußern können, etwa im Koma oder bei Demenz. Bei ihnen sollen Ärzte "lebenserhaltende Maßnahmen" begrenzen, beenden oder unterlassen dürfen, wenn der Betroffene irgendwann eine entsprechende Patientenverfügung verfasst hat. Liegt ein solches Schriftstück nicht vor, sollen tödlich wirkende Unterlassungen wie der Stopp der Sonden-Ernährung ebenfalls straffrei möglich sein. Und zwar dann, wenn Mediziner vermuten, dass der nichteinwilligungsfähige Patient "im Hinblick auf Art, Dauer und Verlauf seiner Erkrankung diese Behandlung ablehnen würde". Die Gründe für das Beenden lebenserhaltender Maßnahmen sollen Ärzte zwar schriftlich dokumentieren, eine gerichtliche Kontrolle ihrer Entscheidung fordern die Strafrechtler aber nicht.

    Die Juraprofessoren, darunter der als Berater der Bundesärztekammer (BÄK) aktive Hans-Ludwig Schreiber, finden es außerdem legitim, dass Mediziner Hilfe bei Selbsttötungen leisten. "Nicht rechtswidrig" handelt gemäß AE-StB, wer es unterlässt, einen Erwachsenen an einer freiwilligen Selbsttötung zu hindern oder nach einem Suizidversuch zu retten. Würde diese "Alternative" ins Strafgesetzbuch aufgenommen, könnte ein Arzt einem Patienten ein tödlich wirkendes Medikament beschaffen. Nimmt der Lebensmüde das Präparat ein und wird bewusstlos, müsste der Mediziner nicht einschreiten, sondern könnte einfach auf den Eintritt des Todes warten.

    BÄK-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe hat den "ärztlichen-assistierten Suizid" Anfang dieses Jahres kategorisch abgelehnt: "Das wäre eine Umkehrung ärztlicher Werte." Allerdings erwies sich Hoppe in der Vergangenheit als ziemlich wankelmütig. 1995 schrieb er noch, ein Abbruch oder Verzicht einer Behandlung könne "halbwegs guten Gewissens nur bei unheilbar Kranken im Sterbeprozess in Erwägung gezogen werden". Ende 2004 machte sich Hoppe dann zum Fürsprecher eines Gesetzentwurfs von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Der Ärzte-Präsident billigte den Plan der SPD-Politikerin, den vorab verlangten Therapiestopp auch dann zu legitimieren, wenn der Verfasser einer Patientenverfügung nicht irreversibel tödlich erkrankt ist.

    CDU, CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Diskussion über eine "gesetzliche Absicherung" von Patientenverfügungen in dieser Legislaturperiode "abzuschließen". Zypries will an ihrem alten Entwurf im Kern festhalten und rechnet damit, "dass wir uns bis Mitte 2007 auf ein Gesetz einigen können". Ärztlich assistierte Selbsttötungen rechtlich zu unterstützen, hat Zypries bislang nicht vorgesehen.

    Die Professorenrunde hofft, dass ihre Reformideen bei Regierung und Parlament auf fruchtbaren Boden fallen. Dafür werben soll offensichtlich auch der nächste Deutsche Juristentag im September in Stuttgart. Unter Vorsitz von Professor Heinz Schöch geht es dann auch um "Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung"; als Gutachter ist Professor Torsten Verrel geladen. Schöch (München) und Verrel (Bonn) stehen als Hauptautoren über dem "Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung".

    Referenten beim Juristentag sind zudem der profilierte "Sterbehilfe"-Anwalt Wolfgang Putz und der pensionierte Strafrichter am Bundesgerichtshof, Klaus Kutzer. Letzterer war Vorsitzender jener vom Bundesjustizministerium eingesetzten Kommission, die im Juni 2004 dafür plädiert hatte, Patientenverfügungen zu legalisieren. Einige Monate später zog Zypries nach – mit ihrem Gesetzentwurf, der den Vorschlägen der Kutzer-Kommission     weitgehend gefolgt ist.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2006
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aus:
die tageszeitung

3. Februar 2006



 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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