Juristentag erörtert "Autonomie am Ende des Lebens" "Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens?" Das ist der Titel eines Gutachtens, das der Deutsche JuristInnentag Ende September in Leipzig diskutieren wird. Folgen die TeilnehmerInnen den Thesen des Gutachters, könnte am Ende ein Appell an die Politik stehen, gesetzlich zu legitimieren, was hierzulande nicht erlaubt ist: der todbringende Abbruch einer medizinischen Behandlung bei Menschen, die gar nicht im Sterben liegen und sich nicht äußern können, etwa nach Schlaganfall, im Koma, bei Demenz. Von Klaus-Peter Görlitzer Der Autor des Gutachtens, der Rechtsprofessor und Bioethiker Jochen Taupitz, berät seit Jahren die Bundesärztekammer (BÄK). Deren "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung", im September 1998 verabschiedet, hatten die Politik regelrecht herausgefordert. Denn sie rechtfertigen, was kein Gesetz vorsieht: das Verhungernlassen nichteinwilligungsfähiger PatientInnen per Abbruch der Ernährung per Magensonde oder Infusion, sofern dies der Betroffene "mutmaßlich" wolle oder ein Vormundschaftsgericht - die vom Betreuer bzw. Bevollmächtigten beantragte - todbringende Unterlassung genehmigt habe. (Siehe BIOSKOP Nr. 3+4) Zwar ernteten die BÄK-Grundsätze reichlich Kritik, doch empörten Worten folgten keine wirksamen Taten: Bis heute fehlt die von PolitikerInnern angekündigte gesetzliche Klarstellung, dass kein Richter oder Betreuer über Leben und Tod von Menschen entscheiden darf, die selbst nicht (mehr) entscheiden können. Mit dem Gutachten für den Juristentag stützt Taupitz die Linie der Ärztefunktionäre, und er pointiert sie noch. "Im Zweifel", meint der Professor, sei die (Weiter)behandlung Nichteinwilligungsfähiger dann "nicht von einer mutmaßlichen Einwilligung getragen", wenn ihr Zustand als "irreversibel" eingeschätzt werde und wichtige Körperfunktionen dauerhaft ersetzt werden müssten. Dies gelte etwa für KomapatientInnen, die beatmet oder intravenös ernährt werden müssen. Bei ihnen dürften Sondenernährung und intravenöse Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung gestoppt werden, es sei denn, ihr Wunsch auf Weiterbehandlung sei eindeutig erkennbar. Zentraler Bezugspunkt der 130-seitigen Schrift ist die Taupitzsche Interpretation vom "Selbstbestimmungsrecht" des Patienten. Danach müsse zwar jede Behandlungsmaßnahme durch Einwilligung nach Aufklärung legitimiert werden, nicht aber ihr Abbruch. Den Verzicht auf bestimmte Therapien sollen Menschen nach Meinung des Gutachters auch fernab der akuten Situation vorausbestimmen können. Dazu dienen sollen "Patientenverfügungen", die bisher keinen Arzt binden. Taupitz empfiehlt, die Papiere künftig per Gesetz dann als verbindlich anzuerkennen, wenn "ein Arzt in der Verfügung bestätigt hat, den Betroffenen über Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung aufgeklärt zu haben". Grenzen der Selbstbestimmung
Was der Juristentag von solchen Auslassungen hält, bleibt abzuwarten. Abzusehen ist: Allein die Tatsache, dass Rechtsgelehrte in Leipzig die gesetzliche Absicherung von "Sterbehilfe" für Nichtsterbende erörtern, wird den Druck auf Politik und Gesellschaft steigern, Position zu beziehen. © KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2000 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Autors |
BIOSKOP Nr. 11 (September 2000)
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