"Mit Mut und Menschlichkeit"?
Patientenverfügungen und Gentests sollen gesetzlich legitimiert werden – Die Pläne der Großen Koalition

CDU, CSU und SPD wollen vier Jahre lang "gemeinsam für Deutschland" arbeiten – und zwar "mit Mut und Menschlichkeit". Dieser Slogan steht jedenfalls über dem Koalitionsvertrag, auf den sich Christ- und SozialdemokratInnen am 11.11.2005 geeinigt haben. Im 140 Seiten dicken Konsenspaket stecken auch diverse Aussagen zur Förderung von Biomedizin und Forschung.


Von Klaus-Peter Görlitzer
Koalitionsvereinbarungen gehen selten in Details. Aber sie zeigen, welche Schwerpunkte die Regierungspartner vorhaben. So hält es auch die schwarz-rote Koalition, gemeinhin "die Große" genannt. Vergleichsweise konkret erscheint die Passage zum persönlich verfügten, tödlichen Stopp von Ernährung und lebensnotwendigen Therapien: "Die Koalitionspartner schlagen vor, in der neuen Legislaturperiode die Diskussion über eine gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung fortzuführen und abzuschließen." Am 17. November legte die Justizministerkonferenz nach und plädierte dafür, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten. Dieser Bitte wird die alte und neue Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) gern folgen – und wohl ihren Entwurf hervorholen, den sie Anfang 2005 vorerst zurückgezogen hatte.

    Ein Gesetz kündigt Schwarz-Rot auch für den Bereich "genetischer Untersuchungen bei Menschen" an. Es soll die Qualität der Diagnostik gewährleisten und die Persönlichkeitsrechte schützen. Will die im Amt gebliebene Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) diesem Anspruch gerecht werden, muss sie sich neu orientieren: Ihr "Diskussionsentwurf", vorgelegt im Herbst 2004, folgte den Wünschen von ForscherInnen, Firmen und Krankenkassen. Die Nutzung genetischer Daten wollte Schmidt weder Arbeitgebern noch Versicherungen kategorisch verbieten. Auch sollte es GenforscherInnen leicht gemacht werden, Biobanken mit Körpersubstanzen und PatientInnendaten zu etablieren. Nebenbei war auch noch die Bestandssicherung für alte Sammlungen geplant, die teils ohne Einwilligung der Betroffenen entstanden sind.

Sich gegenseitig befruchten
    Bio-, Gen- und Nanotechnologie zählt die Große Koalition zu den "besonders zukunftsträchtigen Bereichen", in denen Deutschland "Technologie- und Marktführerschaften" erobern und ausbauen solle. Die SteuerzahlerInnen sollen dabei helfen: Trotz der ständig beklagten Haushaltslöcher sollen für "Zukunftstechnologien" zusätzliche Fördermilliarden fließen und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf "mindestens 3 % des Bruttoinlandprodukts steigen". Als "wichtiger Hebel" zum Erreichen des 3-Prozent-Ziels fungiere die "Projektförderung des Bundes". Dadurch entstünden Netzwerke, "in denen sich exzellente Wissenschaft und innovative Unternehmen gegenseitig befruchten".
   
    Schwärmerei gibt es sogar im rechtspolitischen Kapitel des Koalitionsvertrags. Dort werden Gentests, deren polizeiliche Anwendungsoptionen von Rot-Grün gerade erst erweitert wurden, "als hervorragendes Mittel zur Strafverfolgung" gepriesen. Die nächste Eskalationsstufe droht Ende 2007. Dann werde geprüft, "ob die DNA-Analyse aus kriminalpolitischen Gründen ausgeweitet werden muss". Die Richtung hatten fünf CDU-geführte Bundesländer Anfang 2005 vorgegeben. Im Bundesrat forderten sie, "genetische Fingerabdrücke" möglichst aller Verdächtiger zu speichern.

    Im Koalitionsvertrag fehlen einige Reizthemen, die LobbyistInnen und diverse PolitikerInnen seit Jahren hartnäckig verfolgen. Ihre Forderungen werden sie im Laufe der neuen Legislaturperiode sicher wieder aus der Schublade holen, zum Beispiel: Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik, Lockerung der Regeln zum Experimentieren mit embryonalen Stammzellen, Erleichterung von Lebendorganspenden, Beitritt Deutschlands zur Bioethik-Konvention des Europarates. Papiere zu all diesen Themen haben auch die Medizinethik-Enquetekommission (seit Frühjahr 2000) und der Nationale Ethikrat (seit Mitte 2001) produziert; zur Zukunft beider Politikberatungsgremien sagt der Koalitionsvertrag nichts. Dort steht nur ein denkwürdiger Satz: "Ethische Prinzipien und wissenschaftlichen Fortschritt werden wir weiterhin miteinander in Einklang bringen.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2005
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aus:

BIOSKOP 

Nr. 32 (Dezember 2005)










 
Glückwünsche von der DFG
Bundeskanzlerin Angela Merkel "eine Freundin der Wissenschaft"

 




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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