Organtausch erlaubt - Geschäft ermöglicht
Bundessozialgericht legitimiert "Lebendorganspenden" unter Menschen, die nicht offensichtlich befreundet sind

Mit einer kreativen Gesetzesauslegung hat das Bundessozialgericht eine juristische Vorlage zur Ausweitung der "Lebendorganspende" geliefert: Ein "Grundsatz"-Urteil legitimiert Überkreuz-Transplantationen zwischen Menschen, die weder verwandt noch offensichtlich befreundet sind. Die Transplantationslobby ist sehr erfreut und fordert die Politik auf, nun auch die "anonyme Lebendspende" zu legalisieren.
Die Tür zur Kommerzialisierung würde so weiter geöffnet – ob gewollt oder nicht. 


Von Klaus-Peter Görlitzer
Geschäftemacherei mit Nieren und Leberstücken soll das Transplantationsgesetz (TPG) verhindern. Laut § 8 ist eine Organentnahme bei gesunden Menschen nur erlaubt, um das Körperteil anschließend auf Verwandte, Ehegatten, Verlobte oder auf Menschen zu übertragen, "die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen".

    Wie man diese Regel umgehen kann, demonstrierten zunächst der Freiburger Transplanteur Prof. Günter Kirste und ein Ehepaar aus Aachen. Sie trafen sich im Mai 1999 in Basel mit schweizerischen Eheleuten, um gleichzeitig vier Operationen zu bewerkstelligen, die mit dem Wortlaut des § 8 TPG schwer zu vereinbaren sind: eine "Überkreuz-Transplantation" zwischen vier Menschen, die sich nach eigener Aussage zufällig kennengelernt hatten – bei der Suche nach OrgangeberInnen mit passender Blutgruppe. Chirurg Kirste übertrug dem Aachener eine Niere des Schweizers, als Gegenleistung erhielt dessen Ehefrau eine Niere der Gattin des Deutschen.

    Die deutschen Beteiligten an diesem eigentümlichen Tauschgeschäft wollten noch mehr: die Erstattung der Operationskosten (80.000 Schweizer Franken) durch die Krankenkasse – und als Zugabe möglichst eine höchstrichterliche Entscheidung mit politischer Signalwirkung.

    Viereinhalb Jahre nach den Baseler Operationen haben zumindest Transplanteure wie Professor Kirste ihr Ziel erreicht. Denn die gewünschte Grundsatzentscheidung ist nun da – gefällt am 10. Dezember 2003 vom 9. Senat des Bundessozialgericht (BSG), der über die Klage des Aachener Organempfängers zu entscheiden hatte. Die höchsten SozialrichterInnen urteilten, die beiden Vorinstanzen, welche die Überkreuz-Transplantationen als unzulässig bewertet hatten, hätten die von § 8 TPG verlangte offenkundige persönliche Verbundenheit zwischen Spender und Empfänger "zu eng aufgefasst". Die geforderte Verbundenheit müsse keineswegs für jedermann offenkundig sein. "Vielmehr", so das BSG spitzfindig, "reicht es aus, dass der im Vorfeld der Operation tätige Psychologe oder Arzt eine hinreichend intensive und gefestigte Beziehung eindeutig feststellen konnte"; wobei die engen Bande auch dann glaubhaft sein könnten, wenn sie erst aus dem Organbedarf heraus entstanden seien. Ob dies auch im konkreten Fall so gewesen und folglich die Krankenkasse verpflichtet ist, dem versicherten Kläger die Operationskosten zu erstatten, muss nach dem Urteil des BSG nun die Vorinstanz klären, also das Landessozialgericht NRW.

Pool für Nieren und Leberstücke
    Rückenwind gibt diese BSG-Entscheidung den Promotoren der "Lebendorganspende", die seit Jahren fordern, sie auch bei Menschen zu erlauben, die weder verwandt noch eng befreundet sind. Als Speerspitze will nun offenbar die Bundesärztekammer (BÄK) fungieren. Die Ständige Kommission Organtransplantation der BÄK wünscht sich einen "Pool", in den Menschen Nieren und Leberstücke "spenden" sollen – anonym und ohne die potenziellen OrganempfängerInnen zu kennen. Reklame für diese Idee machte der Vorsitzende der BÄK-Kommission, Prof. Hans-Ludwig Schreiber, bei einer Anhörung der Medizinethik-Enquete des Bundestags am 1. März in Berlin. "Die Verteilung" der Pool-Organe "müsste dann im gleichen Verfahren wie bei der Leichenspende erfolgen", schlug Jurist Schreiber vor, der "hirntot" diagnostizierte Menschen stets "Leichen" nennt.

    Für die Abschaffung der gesetzlichen Beschränkung des "Lebendspender"-Kreises plädierte auch der Münchner Jurist Thomas Gutmann. "Wesentliche Bedeutung" für die Bundesrepublik, erzählte Gutmann der Enquete, habe die "amerikanische Erfahrung". Die Universität von Minnesota in Minneapolis hatte 1999 ein Programm zur "altruistischen Fremdspende" von Nieren als Pilotprojekt etabliert. Dabei hätten Transplanteure insgesamt 360 "Spendewillige" kontaktiert, anschließend seien 48 ausgesuchte KandidatInnen medizinisch und psychosozial überprüft worden. 22 von ihnen hätten sich bisher eine Niere zugunsten Fremder herausoperieren lassen; inzwischen seien "Fremdorganspenden" an 57 US-Transplantationszentren realisiert worden.

    Der Antrieb der "SpenderInnen", behauptet Gutmann, "beruhte durchgehend auf Hilfsbereitschaft oder ähnlichen altruistischen Motiven"; finanzielle oder sonstige Forderungen von OrgangeberInnen, die nach der Transplantation auf Wunsch mit den EmpfängerInnen bekannt gemacht wurden, seien im Rahmen des Minnesota-Modellprojekts nicht aufgetaucht. Ob in der Praxis trotzdem Geld fließt, kann allerdings niemand ausschließen.

    Die Enquete-Anhörung war wenige Minuten vorbei, da meldete sich auch schon ein Kommissionsmitglied per Pressemitteilung zu Wort. "Die Bestandsaufnahme des nunmehr sieben Jahre geltenden Transplantationsgesetzes", resümierte der FDP-Abgeordnete Michael Kauch, "hat ergeben, dass die Organspende unter Lebenden neu geregelt werden muss. Vor allem die Beschränkung auf Empfänger, zu denen der Organspender ein Näheverhältnis hat, ist nicht mehr haltbar." Ob diese Position im Bundestag tatsächlich eine Mehrheit finden wird, bleibt abzuwarten; jedenfalls hat sich die Enquete bislang ziemlich einseitig beraten lassen und fast ausschließlich "Lebendspende"-Befürworter öffentlich anhören wollen. Zu den zwölf nach Berlin geladenen Sachverständigen zählten - neben im Lobbyismus erfahrenen Juristen wie Schreiber und Gutmann - allein fünf Transplanteure, darunter Cross-Over-Chirurg Kirste.

    Ob gewollt oder nicht: Die Ideen der "Lebendspende"-Protagonisten wie auch das BSG-Urteil dürften denjenigen Vorschub leisten, die mit Körperteilen Geld verdienen wollen. Zwar errichtet das TPG eine formale Hürde: Ehrenamtliche Kommissionen aus MedizinerInnen, PsychologInnen und JuristInnen, die bei den Ärztekammern angesiedelt sind, sollen prüfen, ob eine geplante Organentnahme wirklich freiwillig und ohne Entgelt erfolgen soll. Doch Gewähr dafür bieten können die Gremien nicht. Günter Hopf, Geschäftsführer der Lebendspendekommission bei der Ärztekammer Nordrhein, gab im Rheinischen Ärzteblatt zu: "Diese vom Gesetzgeber gewollte Überprüfung im Laufe eines Gespräches mit den Betroffenen kann sich nur auf gezielte Fragen beschränken, deren wahre Beantwortung nicht überprüft werden kann."

    Schon angesichts solcher Zustände ist es riskant und absurd, eine Ausweitung der "Lebendorganspende" auch nur zu erwägen. PolitikerInnen, die Kommerzialisierung von Organentnahmen wirklich verhindern wollen, müssen andere Prioritäten setzen. Der Verein BioSkop wie auch der Staatsrechtler Prof. Wolfram Höfling haben bereits vor über einem Jahr gefordert: "Die Arbeit der Lebendspendekommissionen gehört dringend auf den Prüfstand."


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2004
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aus:
BIOSKOP 

Nr. 25 (März 2004)



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  
 
 
 

Riskante Vorschläge

Ob gewollt oder nicht: Die Ideen der Protagonisten der "Lebendorganspende" wie auch das BSG-Urteil dürften denjenigen Vorschub leisten, die mit Körperteilen Geld verdienen wollen.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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