Kampf um Grenzbereich menschlichen Lebens
Wenn ethische Fragen Leben und Tod berühren, dann wird heftig über sie gestritten. Nun soll sich eine neue Enquete-Kommission mit Organtransplantation und Sterbehilfe beschäftigen. Eine heikle Aufgabe, denn mehrere Gruppen hoffen auf rhetorische Schützenhilfe.


Von Klaus-Peter Görlitzer
Sterbehilfe, Organtransplantation, medizinische Forschung - Empfehlungen zu diesen Themen soll die Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" im Laufe dieser Legislaturperiode vorlegen. Anfang Juni soll die Arbeit losgehen, dann will sich das Gremium aus je 13 Bundestagsabgeordneten und Sachverständigen auf einen Zeitplan einigen.

    Die Vorgänger-Enquete hatte durch einige Verbotsempfehlungen zu "Zukunftstechniken" Aufsehen erregt, denen der Bundestag bisher allerdings nicht gefolgt ist. Der Appell der meisten Enquetemitglieder, Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen ausnahmslos zu verbieten, fand keine Mehrheit im Parlament. Stattdessen beschloss der Bundestag 2002 ein Gesetz, das es deutschen Wissenschaftlern erlaubt, Stammzellen aus dem Ausland zu importieren; inzwischen laufen Forschungsprojekte in Bonn, Köln und München. Das von der Kommission angemahnte Gendiagnostik-Gesetz, das Tests im Rahmen von Arbeits- und Versicherungsverhältnissen untersagen soll, steht ebenso noch aus wie ein Fortpflanzungsmedizingesetz.

    Ob die neue Kommission mehr Gehör beim Parlament finden wird, ist ungewiss. Jedenfalls soll sie binnen zweieinhalb Jahren "auf gesetzlich unvollständig geregelte Bereiche hinweisen" und Empfehlungen vorlegen. Einige Lücken sind offensichtlich. Beispiel Sterbehilfe: Wiederholt haben Enquete-Mitglieder wie Wolfgang Wodarg (SPD) und Hubert Hüppe (CDU) davor gewarnt, Sterbehilfe auf Menschen auszuweiten, die überhaupt nicht im Sterben liegen, etwa Koma-Patienten und Demenzkranke. Vehement kritisierten die beiden die Sterbebegleitungsgrundsätze der Bundesärztekammer (BÄK). Das Papier stellt es Medizinern frei, Sondenernährung und Therapien bei einwilligungsunfähigen Patienten abzubrechen, sofern solche tödlichen Unterlassungen von einem Betreuer beantragt und anschließend von einem Vormundschaftsgericht genehmigt worden sind. Hüppe forderte damals, der Gesetzgeber müsse klarstellen, dass es keinen Rechtsanspruch für tödliche Behandlungsabbrüche gebe. Doch das Parlament hat zu dem heiklen Thema bislang geschwiegen.

    Anders der Bundesgerichtshof: Der veröffentlichte im April 2003 einen Beschluss zum Ernährungsabbruch bei einem Komapatienten, der die BÄK-Position im wesentlichen bestätigt und auch eine entsprechende Behandlungsverzichtsverfügung des Betroffenen als rechtsverbindlich anerkennt, obwohl dies in keinem Gesetz steht. Ob sich die Enquete der BGH-Rechtsprechung anschließen oder ob sie ihr widersprechen wird, ist offen - in jedem Fall könnte ein Votum politisch richtungsweisend werden.

    Dies gilt auch für die von der Kommission beabsichtigte Überprüfung des Transplantationsgesetzes (TPG), das Ende 1997 in Kraft trat. Sein erklärtes Ziel, mehr Organverpflanzungen zu ermöglichen, wurde bislang verfehlt; die Zahl der Transplantationen stagniert. So plädieren viele Chirurgen dafür, neben "hirntoten" auch gesunden Menschen Körperteile zu entnehmen. Diese so genannte "Lebendorganspende" ist laut TPG aber nur erlaubt, wenn sich Geber und Empfänger "in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen". Die Einschränkung, die Geschäfte mit Organen verhindern soll, wollen einflussreiche Juristen und Mediziner aufgehoben sehen; einige Transplanteure wie der Essener Professor Christoph Broelsch fordern gar, finanzielle Anreize für Organspender zuzulassen.

© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2003
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aus:
Südwest Presse 

27. Mai 2003









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